Becker, Anke
lebt in Berlin
Jeannes Alphabet, 2021
Wandarbeit aus Leichtbeton-Formguss
700 x 880 cm
Skulptur / Relief
Wettbewerb
Art: Begrenzt-offener Wettbewerb - Einladungsverfahren, Mehrstufig
Jahr: 2021
Auslober | Institution: Amt für Weiterbildung und Kultur in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin
Preisrichter:
Leonie Baumann, Rektorin Kunsthochschule Weißensee | Antje Schiffers, Künstlerin | Albert Weis, Künstler | Tilman Wendland, Künstler
Andrea Schich, Referatsleiterin Hochbau V C, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen
realisiert: ja
Standort
Jeanne-Barez-Schule in Berlin, Französisch Buchholz
Kita / Schule / Jugendzentrum
Hauptstraße 66
13127 Berlin
Berlin
Deutschland
Bauherr: Land
Aufstellung: Treppenfoyer Neubau
Beschreibung:
JEANNES ALPHABET – KÜNSTLERISCHES KONZEPT
Auszug aus dem Erläuterungsbericht zum Kunst am Bau Wettbewerb für den Erweiterungsbau der Jeanne-Barez-Schule in Berlin, Französisch Buchholz
Jeannes Alphabet birgt jede erdenkliche Erzählung und jedes mögliche Wort. Es bildet die Grundlage für all die Geschichten, Erinnerungen und Anekdoten, die es zu erzählen gäbe.
Über das Leben der Jeanne-Marie Barez – der Namengeberin der Grundschule – gibt es nur wenige Aufzeichnungen. Es existieren fragmentarische Informationen über eine Frau aus Französisch Buchholz, die im Jahr 1718 in Berlin geboren wurde und 57 Jahre später dort starb. In den spärlichen Dokumenten, in denen sie erwähnt wird, taucht ihr Name ausschließlich in Bezug zu ihrer Familie auf. Sie wird als »hübsche Tochter des Seidenstickers Jean Barez und seiner Frau Jeanne Rollet« beschrieben, als fortschrittliche Ehefrau des Grafikers Daniel Chodowiecki und als aufklärerische Mutter von sechs Töchtern und drei Söhnen.
(UN)ORDNUNGSPRINZIP ALPHABET
Jeannes Alphabet ist eine vor der Wand schwebende, 10,4 x 8,5 Meter große Buchstabenstruktur aus Leichtbeton, die beim längeren Betrachten Überraschungen birgt und subtile Irritationen hervorrufen kann: Im B ist ein P verborgen, im G ein C, im E ein L. VWXY verbinden sich auf eigentümliche Art zu einem Gitter. Die Nachbarschaft von I und J erzeugt ein großes D. ÄÖÜ zusammengerückt und gespiegelt sind kaum noch als Buchstaben zu erkennen. Aus der Ferne sieht das ganze Gebilde aus wie ein Vorhang aus Spitze, ein gesticktes Ornament, das aus der Hand hugenottischer Seidensticker stammen könnte. Im gesamten Buchstabenvorhang imaginär eingebettet sind jedoch auf jeden Fall Wörter, Sätze, Erzählungen, Geschichten und Erinnerungen – auch die über Jeanne-Marie-Barez, der Frau, über die es sicher viel zu erzählen gäbe, über die aber dennoch so wenig aufgezeichnet ist.
»Un chef-d’oeuvre de la littérature n’est jamais qu’un dictionnaire en désordre.« (Das größte literarische Meisterwerk ist lediglich ein in Unordnung gebrachtes Wörterbuch.) Aus: Jean Cocteau, Le Potomak (1919)
Ein Alphabet bildet die feste Grundstruktur für Sprache, es ist das Material, aus dem unsere Wörter und Sätze geformt werden. Durch den Vorgang des Sprechens, Schreibens und Lesens wird das abstrakte System eines Alphabets erst zum Leben erweckt, die Buchstaben geraten in Bewegung, sie werden umsortiert und umgeordnet – immer wieder aufs Neue und in immer neuen Kombinationen.
DAS FRAGMENTARISCHE ALPHABET
Durch die Unvollständigkeit der rot aufgemalten, zweiten Buchstaben-Ebene kommt die feste Betonstruktur in Bewegung, das unter allem liegende, vollständige Alphabet kollidiert mit einer gebrochenen Struktur von eigener Schönheit, die für sich genommen wie eine geheime Sprache (Code) wirkt.
TYPOGRAFIE und ALPHABET
Als Grundlage für die Gestaltung von JEANNES ALPHABET wird der Schrifttyp »FF Super Grotesk« verwendet. Die Typoart »Super Grotesk« von Arno Drescher erschien ab 1930 und wurde insbesondere in der DDR oft eingesetzt. Die Schrift galt als »zeitgemäße und unbelastete« Schrift, da sie während der Nazizeit nicht verwendet worden war. Nach dem Mauerfall waren die Schriften des 1989 privatisierten und 1995 endgültig geschlossenen DDR-Betriebes »Typoart« zunächst nicht mehr verfügbar und gerieten in Vergessenheit. Mit der »FF Super Grotesk« erschien 1999 eine digitale Überarbeitung des Berliner Typografen Svend Smital. Durch Svend Smitals Neugestaltung wurde diese Schrift rehabilitiert und wieder zum Leben erweckt. Die »Super Grotesk« erinnert an die utopischen Träume einer modernen, zukunftszugewandten Gesellschaft, minimalistisch und schnörkellos. Ihre serifenlose, konstruktivistische Form macht sie heute für digitale Anwendungen besonders brauchbar. Vergangenheit und Zukunft werden in der Berliner Version »FF Super Grotesk« auf elegante Art miteinander verknüpft. Mit der Verwendung dieser Schrift zur Konstruktion des Buchstabenrasters von JEANNES ALPHABET wird auf formaler Ebene auf den Standort der Jeanne-Barez-Schule im Ostteil der Stadt Bezug genommen.
Ein Alphabet birgt jedes Wort und jede noch so utopische Idee.