Was bleibt eigentlich von der retinalen Wahrnehmung, der der Mensch kontinuierlich ausgesetzt ist – wenn er nicht gerade schläft – als »Bild« zurück? Wie überhaupt entstehen Bilder, und wie hängen Bildgenese und Erinnerung zusammen? Diese und andere Fragen eröffnen Gestaltungsräume im weitgehend unausgeloteten Raum zwischen statischem Einzelbild von Malerei und Fotografie und den laufenden Bildern des Films. Das Interesse an der Form der Sequenz fußt dabei wesentlich auf der Annahme, dass die humanen »Phänomene« von Identifizierung und Erinnerung in Sequenzen kodiert sind – wie eine visuelle DNA.
30 internationale KünstlerInnen haben auf Einladung von Rolf Bier eine Sequenz für das Projekt strip als Dia- oder Beamerprojektion entwickelt und sich den oben entwickelten Fragestellungen von ihrem individuellen Werkansatz genähert. Im Rahmen der Präsentation des Projekts werden alle jeweils individuell getakteten Sequenzen in Form eines »strip-screening« zeitlich aufeinanderfolgend gezeigt.
Sequenzen, die zwangsläufig immer auch Bausteine größerer Bild- und Erzählzusammenhänge sind, sind konstituierende Nahtstellen von Wahrnehmung: Bedeutung ist ja nicht in jeglicher visueller Erscheinung vorhanden, sondern entsteht für uns erst im relationalen Abgleich von Bildern. Ebenso wichtig wie die Information des Bildes selbst ist dabei – als Bild unter Bildern – seine Position in der Folge und die Dauer seiner Präsenz. Das unterscheidet Sequenzen wesentlich von Serien.
Sequenzen bieten die Möglichkeiten der Reflexion von Wahrnehmung, sie enthalten Räume struktureller, wie erzählerischer Mikrospots. Bilder bleiben hier zwar einzeln wahrnehmbar, werden aber im Kontext der überschaubaren Folge ebenso eingebettet wie aufgelöst. Denn die Essenz einer Folge ist nicht in einem einzelnen der gesehenen Bilder fassbar, sondern in einem rein mentalen Meta-Bild als eine Art Quersumme.
Die Frage nach der Entstehung des Bildes aus Bildern und seiner distinkten Identifizierung als erinnerbarem »image« ist Bild-Sequenzen förmlich eingeschrieben. Sie sind dem Geheimnis der Bildwerdung tatsächlich nahe: Hier gehen die linear aufeinanderfolgenden Bilder ineinander über, bevor das eine oder andere in unserem Gedächtnis andockt, fest (-gehalten) wird oder verschwindet. Die strukturelle Nähe zu Bilderzählungen und Comic, Cartoon, Videoclip, Film und Diashow ist zugleich verbindende wie abgrenzende Charakteristik der Sequenz.
Die aktuelle Relevanz der in strip entwickelten Fragestellungen und die spezielle nach dem Status des Bildes zeigt sich auch darin, dass durch die Verbreitung der digitalen Fotografie die private Bildproduktion und nun auch die Bildbearbeitung fast jedermann zugänglich geworden ist. Probleme und Fragen der Bildgenese stehen jedoch immer schon im Zentrum künstlerischer Arbeit, die durch die Suche nach dem besonderen Bild und den ebenso analytischen wie überraschenden Blicken auf die Welt bestimmt ist.
strip ist mehr ein künstlerisches Projekt denn Ausstellung und wird nach den ersten »Aufführungen« in Hannover und Berlin an anderen Orten vorgestellt und fortgeführt. Zugleich entsteht striparchive – ein Archiv künstlerischer Bild-Sequenzen.
Silvia Bächli (CH), Stephan Banz (CH), Thomas Baumann/Martin Kaltner (A), Rolf Bier (D), Delphine Courtillot (F), Stefan Ettlinger (D), Maria Finn (S), Thomas Ganzenmüller (D), Christoph Girardet (D), Eric Hattan (CH), Hlynur Hallsson (IS), Thomas Huber (CH), Yoshiaki Kaihatsu (J), Abigail Lazkoz (E), Gerhard Mantz (D), Yves Netzhammer (CH), Kay Nyborg (DK), Serge Onnen (NL), Carl Ostendarp (USA), Alexander Roob (D), Hulia Schmid (D), Stefan Sehler (D), Caspar Stracke (D/USA), Timm Ulrichs (D), Bernhard Volk (D), Corinne Wasmuth (D), Lawrence Weiner (USA), Jürgen Witte (D), Matt Wolf (USA)