Nezaket Ekici, Papa's Poem, 2016
Videostill: Branka Pavlovic
© Nezaket Ekici
Santiago Sierra, 697 State Crimes, 2018
Videodokumentation, 1:1 Center for Arts and Politics, Tel Aviv, Israel
© Santiago Sierra
Wolfram Kastner, Schüttbild: Blutspur 1, 2016
© Wolfram Kastner/VG Bild-Kunst Bonn, 2022
Begrüßung: Cornelia Rößler, Vorstandssprecherin Deutscher Künstlerbund
Einführung: Oscar Ardila und Stefan Krüskemper, Ausstellungskuratoren
mit Live-Übertragung der Eröffnungsreden per Zoomlink:
https://us06web.zoom.us/j/83805805790?pwd=MWtUSHJiMThxWmNvem9uSXZHTXFqZz09
Vortrag und Gespräch der Kuratorin und Autorin Paz Guevara, Haus der Kulturen der Welt und Archive in Berlin, mit den Ausstellungskuratoren Oscar Ardila und Stefan Krüskemper (in englischer Sprache)
Kuratiert von Oscar Ardila und Stefan Krüskemper
Cécile Belmont (FR) verbindet in ihrer künstlerischen Praxis poetische und politische Ebenen über Alltagstechniken. Ob sie Zeichnungen in der Landschaft stickt oder in der Stadt mit Passanten Kleidungsstücke beschriftet, immer geht es ihr um die Kommunikation und den Prozess. Die in der Ausstellung gezeigte Serie von Stickereien und Fotografien erzählt von Erinnerung und Landschaft anhand des Atlantikwalls, einer Befestigungslinie, die von 1942 bis 1944 entlang der europäischen Küste gebaut wurde, um die Landung der Alliierten zu verhindern. In diesen seltsamen Landschaften sind die Narben der Befestigung von der Natur mittlerweile schwer zu unterscheiden. Die Geste des kontemplativen Stickens stellt als Akt des Gedenkens ein besonderes Verhältnis zur Zeit her.
Nezaket Ekici (DE/TR) konzentriert sich in ihren Performances und Installationen auf Themen wie Identität, Religion, Kunstgeschichte und Architektur. Die Ideen für ihre Arbeiten entstammen oft dem Alltagsleben, so auch das Video Papa’s Poem, das die Beschäftigung mit ihrer eigenen Herkunft zeigt. Die Künstlerin bezieht sich hier auf ein Gedicht ihres Vaters Ziya Ekici, das in dessen Gedichtsband Balik Bastan Kokar/Der Fisch stinkt vom Kopf her veröffentlich wurde. Ihr Vater kam 1970 aus der Türkei als Gastarbeiter nach Deutschland. Er holte die Familie drei Jahre später nach. Papa’s Poem stellt traditionelle Begriffen der Kunstgeschichte bezüglich Skulptur und Mahnmal als festes und dauerhaftes Objekt in Frage. Damit wird Bildhauerei sowie Gedenkkultur als ein flexibler Gestaltungsprozess gezeigt, der sowohl Objekte (Denkmäler) wie auch Individuen (persönliche Positionierungen) ständig »modelliert«.
Wolfram Kastner (DE) setzt sich öffentlich wahrnehmbar mit deutscher Geschichte, der Präsenz und den Nachwirkungen von NS-Verbrechen auseinander. Seine Aktionen provozieren Diskussionen, Nachdenken, Widerspruch – und oft juristische Prozesse, in denen es auch um die Frage geht, was Kunst ist und darf. Eine Aktion, die seit Jahren als soziale Skulptur stattfindet, richtet sich gegen das Ehrenkreuz für den zum Tode verurteilten NS-Hauptkriegsverbrecher Alfred Jodl auf der Fraueninsel im Chiemsee. Jodl war verantwortlich für die Ermordung von Millionen Zivilpersonen und Kriegsgefangene. Kastners künstlerische Interventionen loten das aktuelle Geschichtsbewusstsein, auch von Politik und Justiz, die »Freiheit der Kunst« und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im öffentlichen Raum aus.
Margarete Rabow (DE) verbindet in ihrer Arbeit über das KZ Katzbach performative und filmische Elemente. Im Mai 2014 wurden die 528 Namen der Todesopfer des Lagers, die auf dem Frankfurter Hauptfriedhof begraben wurden, mit Schulkreide auf eine Straße mitten in der Stadt geschrieben. Anschließend wurde ein 37sekündiger 16mm Film erstellt, wobei auf jedem Frame ein Name abgebildet ist. Durch die physische Verdichtung wurden die schrecklichen Ereignisse auf eindrückliche Weise neu dargestellt.
Ute Reehs (DE) Arbeit beschäftigt sich mit der Komplexität von Prozessen. Sie umfasst Zeichnungen, Performances, Videos, Skulpturen im öffentlichen Raum. 2014 erfand sie das Zentrum für Peripherie. Für ihre Arbeitsweise entscheidend sind Wechselwirkungen zwischen physischer Präsenz, eigenen Wahrnehmungen, dem sozialen Miteinander, der Form von Veränderungsprozessen. In ihren Zeichnungen erkundet die Künstlerin zeichnend die Systeme, in denen wir leben. In den in der Ausstellung präsentierten Arbeiten lassen sich kommunikative Dynamiken und Wahrnehmungen der Gedenkkultur finden. Im Gegensatz zu der Vorstellung von Gedenkkultur als etwas Festes und Unveränderbares verweist ihre Arbeit auf sehr komplexe Prozesse des Miteinanders.
Maya Saravia (GT) konzentriert sich in ihren Arbeiten auf die Bedeutung des Tanzes im Zusammenhang mit der bildenden Kunst und der Erinnerung. Im Ausstellungsbeitrag sind die Tanznotationen Transkription der Schritte von Straßentänzern aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Lissabon, mit denen sie zusammengearbeitet hat. Für wen das »Gedächtnis« geschrieben wird, wie wir es in sehr unterschiedlichen Kontexten des globalen Nordens und Südens erleben und wiedergeben, steht im Mittelpunkt von Saravias Fragestellung. Der Körper und die Tanzschritte als performative und uralte Form der »lebendigen« Vermittlung von Gedächtnis und der kulturellen Identität werden den westlich anmutenden schriftlichen Formen der Erinnerung gegenübergestellt.
Santiago Sierra (ES) hinterfragt in seinem Werk 697 CRIMES OF STATE die aktuelle Bedeutung des Gedenkens an die Opfer von langfristigen bewaffneten Konflikten auf globaler Ebene. Während der etwa einstündigen Aktion wurden die Namen der Opfer des israelisch-palästinensischen Konflikts, die zwischen dem 26. Juli 2014 und dem 30. August 2018 ums Leben gekommen sind, laut gerufen. Das ist ein künstlerisches Manifest der Präsenz und Flüchtigkeit von Erinnerung und historischen Diskursen in Bezug auf anhaltende und ungelöste Konflikte. Diese Arbeit ist die Fortsetzung der Aktion 2205 CRIMES OF STATE, die sich auf die bei einem israelischen Angriff auf den Gazastreifen im Jahr 2014 getöteten Personen bezieht.
Roberto Uribe (CO) nimmt kritisch Bezug auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands und Europa. Dazu greift er auf archiviertes Fotomaterial über die Ausbeutung von Kautschukarbeiter in afrikanischen Ländern sowie im Amazonasgebiet zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurück. Uribe verleiht dem Archivmaterial eine weitere Materialität, wenn er die Bilder aus Gummiabfällen von Autoreifen auf Glasscheiben als Metapher für öffentliche Zirkulation und Transparenz in Bezug auf die Vergangenheit neu bearbeitet. Ergänzend zeigt ein Video die im öffentlichen Raum stattgefundene Aktion Vogelperspektive. Hier wurden exotische Vogelfedern auf verschiedene Kultureinrichtungen in Köln projiziert, um die Rolle dieser Institutionen bei der Konstruktion von »exotischen« Imaginationen über den globalen Süden zu hinterfragen.